Reliure, typographie au plomb, imprimerie. Tous les savoirs du livre réunis dans un même endroit.
Gérard de Nerval, Poésies, texte établi et présenté par Albert Béguin, Genf : Mermod, 1944.
Exemplar Nr. 2118 von 3000.
Für diesen Band des großen Dichters der Romantik in Frankreich wollte ich einen typisch romantischen Einband
herstellen. Ich arbeitete nach einem französischen Modell aus dem 19. Jahrhundert. Typisch romantisch ist zunächst die Einbandart: Roter Halblederband. Ursprünglich wurde Kalbleder verwendet, ich
entschied mich jedoch für das haltbarere Ziegenleder. Das Zierpapier ist das typisch romantische schwarz-weiße Rieselpapier mit roten Sprengseln, das ich extra für diesen Einband herstellte. Es nimmt epochentypisch eine relativ große Fläche des Deckels ein. Weitere romantische Elemente: Die flache Rückenrundung und das Auslassen des
mittleren Bundes: An seine Stelle tritt ein längliches Ornament, das früher mit Kerzenruß gedruckt wurde – ich verwendete allerdings Farbfolie. Schließlich die Schrifttype Didot, die an
französischen Bänden des 19. Jahrhunderts häufig zu finden ist.
Von Nerval zu Bürger – Beziehungen zu einem deutschen Text und einem deutschen Einband
Gottfried August Bürger (1747-94), Dichter des Sturm und Drang, hat 1773 die Geisterballade Lenore veröffentlicht, die als Kunstballade bewusst in volkstümlichem Stil gehalten ist. Lenore wartet vergeblich auf die Rückkehr ihres Geliebten Wilhelm aus dem siebenjährigen Krieg und beginnt daraufhin mit Gott zu hadern. Eines Nachts kommt Wilhelm scheinbar zu ihr zurückgeritten, in Wahrheit ist es jedoch der Tod, der sie mit sich fortnimmt und zu ihrem Grab bringt. Der Schluss des Gedichtes deutet das Geschehen als Strafe für Lenores Hadern mit Gott. Das fantastische Geschehen bgeistert den Romantiker Nerval so sehr, dass er ihn gleich viermal übersetzt, um die unheimliche Stimmung dieses Textes im Französischen so perfekt wie möglich wiederzugeben. Zum Vergleich hier die erste Hälfte der ersten Strophe im Original und in Nervals verschiedenen Übersetzungen, die ich jeweils kurz in Bezug auf Form und Sprache kommentiere:
Lenore fuhr ums Morgenrot
Empor aus schweren Träumen:
“Bist untreu, Wilhelm, oder tot?
Wie lange willst du säumen“ –
Reimschema: Kreuzreim; Metrik: Im Wechsel vier- und dreihebiger Trochäus mit Auftakt. Dies erzeugt einen rasch fortschreitenden Rhythmus, der besonders gut zu dem breit beschriebenen Ritt Lenores zu ihrem Grab passt. Die direkte Anrede des Geliebten verleiht dem Gedichtanfang ein dramatisches Element.
1. Traduction en prose (1830):
Lénore se lève au point du jour, elle échappe à de tristes rêves : « Wilhelm, mon époux ! es-tu mort ? es-tu parjure ? tarderas-tu longtemps encore ? »
Sehr nah am Originaltext, keine metrisch feste Form, dennoch rhythmisch nah am deutschen Original.
2. Traduction littérale (1829):
Lénore, au matin, de chez elle
Sort pleurante, elle a mal dormi :
« Est-il mort ? est-il infidèle ?
Reviendra-t-il, mon doux ami ? »
Nah am Text, gleiches Reimschema, Versform: Achtsilbler (nah an der Silbenzahl des Originals), erzeugt schnellen Rhythmus wie im Original. Statt direkter Anrede des Geliebten innerer Monolog Lenores.
3. Ballade de Bürger (1835):
Lénore au point du jour se lève,
L’œil en pleurs, le cœur oppressé ;
Elle a vu passer dans un rêve,
Pâle et mourant, son fiancé !
Formal wie 2., jedoch sprachlich freier und flüssiger. Trotz Wegfall der wörtlichen Rede rhythmisch und atmosphärisch nah am Original.
4. Ballade allemande, imitée de Bürger (1829) :
Le point du jour brillait à peine que Lénore
Saute du lit : « Guillaume, es-tu fidèle encore,
Dit-elle, ou n’es-tu plus ? » C’était un officier
Jeune et beau, qui devait l’épouser ; mais la veille […]
Längere Verse (Alexandriner), dadurch mehr Information pro Vers, weiter entfernt vom deutschen Text, weniger schneller Rhythmus. Sprache und Versmaß „edler“ als das Original, dadurch weniger volkstümlich als Bürgers Ballade.
Persönlich gefällt mir die späteste, dritte Version am besten, weil sie meiner Meinung nach die Balladenstimmung des Originals im Französischen am deutlichsten wiedergibt.
Das folgende Bild zeigt eine deutsche Ausgabe der Gedichte Bürgers von 1841, der auch die Ballade Lenore
enthält. Der Einband ist zeitgenössisch. Es ist ein typischer Pappband (zu erkennen an der Falzrille, wie beim französischen Bradelband), der jedoch einen Halblederband
vortäuschen will: Billiges braunes und grünes Papier, das nun an einigen Stellen schon
abblättert, ersetzt das teurere Einbandmaterial. Der Rücken ist aber trotzdem handvergoldet. Arbeitszeit war damals viel billiger als ein kleiner Streifen Leder. Heute ist es umgekehrt: Eine
hochqualifizierte und zeitintensive Handvergoldung wäre viel teurer als ein solches Stückchen Leder.